Die Candidate Journey optimieren

Was Recruiting sich (nicht) vom Marketing abgucken sollte

„Die Candidate Journey ist die Bezeichnung für die Summe an direkten und indirekten Touchpoints, über die ein Bewerber während des kompletten Prozesses mit einem Unternehmen in Berührung kommt. Sie leitet sich von der Customer Journey ab, die im Customer Experience Management genutzt wird.“ (Schrader 2020: 43)

Candidate Journey, Touchpoints, Customer Journey, Customer Experience Management – falls du gerade denkst: „Wow, noch ein Buzzword-Artikel, da haben die 130 Millionen Google-Ergebnisse zum Suchbegriff Candidate Journey drauf gewartet!“ bist du in der richtigen Stimmung, um weiterzulesen.

Warum wir glauben, dass es noch einen weiteren Beitrag zur Candidate Journey braucht? Lass uns vorne anfangen, beim Vater des Gedankens, bei der Customer Journey. Denn wann immer dir jemand aus dem Marketing sagt, es gelte, die Customer Journey zu optimieren, ist Vorsicht geboten! Die Chance ist gar nicht so gering, dass da gerade an der eigentlichen Idee vorbeigeredet wird. So sehen es jedenfalls der deutsche Wikipedia-Artikel („Dieser Artikel bedarf einer Überarbeitung: Der Text bezieht sich einseitig auf den Prozess bis zur Kaufentscheidung.“) und auch die einschlägige Wissenschaft: Vielfach werde „fälschlicherweise […] die gesamthaft zu betrachtende Customer Journey zu einer Shopping Journey reduziert.“ (Zinkann/Mahadevan 2018: 159)

Das Konzept der Customer Journey ist ein zutiefst missverstandenes Geschöpf

Diese Kritik ist schnell erklärt: Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung ist sich weitgehend einig, dass die Customer Journey sich grob in drei Phasen einteilen lässt. Die Vorkaufphase (die meist noch einmal in eine Trigger- und Informationsphase gegliedert wird), die Kauf- und die Nachkauf-Phase. (ebd.: 161) Wer die Phasen isoliert betrachtet und einzelne Kontaktpunkte mit dem Produkt, der Dienstleistung oder dem anbietenden Unternehmen einseitig optimiert, aber den restlichen Prozess außer Acht lässt, gewinnt überhaupt nichts.

Weder beginnt ein Kaufprozess erst mit dem Besuch eines Online-Shops, noch endet er mit der PayPal-Zahlung. Die Optimierung einzelner Touchpoints ist also kein Selbstzweck. Es geht nicht nur darum die Touchpoints in einer schönen Grafik aufzumalen, um herauszufinden, wo sich überall herumwerkeln lässt. Es geht um einen einheitlichen, positiven Gesamteindruck, um das Zusammenspiel aller Touchpoints (Reinartz 2013). Kund:innen sollen wie am sprichwörtlichen Schnürchen durch den gesamten Prozess gezogen werden. Das Ziel ist, zu verhindern, dass dieses Schnürchen an irgendeinem Punkt plötzlich abreißt und der Prozess deshalb nicht zum gewünschten Ergebnis gebracht wird.

Customer Journey Geschöpf | Sechsfünftel

Von der Customer Journey zur Candidate Journey

Ideen und Konzepte aus dem Marketing etablieren sich immer stärker im Recruiting. Unternehmen vieler Branchen haben verstanden, dass sie ihre Vakanzen besser vermarkten müssen, wenn die Job-Nachfrage am Arbeitsmarkt sinkt. Das schreit geradezu nach einer Adaption des Customer Journey Konzeptes: Kontaktpunkte mit Kandidat:innen überprüfen, neue Kontaktpunkte schaffen und dann optimieren was das Zeug hält, und… nebenbei die gleichen Fehler machen, wie so viele Marketing-Kolleg:innen?! Nee, lass mal.

Aus den Fehlern anderer lernen:
3 Tipps, um deine Candidate Journey zu optimieren

Nicht zu spät anfangen!

Schaut man sich die Darstellungen unter den Top-Treffern zum Suchbegriff Candidate Journey bei Google an, geht es erstaunlich häufig damit los, dass Kandidat:innen sich auf die Suche nach einem neuen Job begeben. Ein wesentlicher Bestandteil der Vorkaufphase aus der Customer Journey, die Triggerphase, wird damit einfach wegradiert. Denn die Realität ist leider, dass die meisten Menschen gar nicht ständig nach Jobs suchen, selbst wenn sie eigentlich offen für Angebote sind. Um auch diese passiven Kandidaten mit auf die Reise zu nehmen, bietet es sich an, diese durch eine aktive Ansprache zu, naja, triggern. Das funktioniert zum Beispiel durchs Active Sourcing, durch Social-Media-Werbung, externe Employer-Branding-Maßnahmen oder Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme. So schaffst du Kontaktpunkte, an denen Kandidat:innen überhaupt erst auf die Idee gebracht werden, sich mit deinem Jobangebot auseinander zu setzen.

Nicht zu früh aufhören!

Das Absenden einer Bewerbung ist, wenn man so will, die finale Buchung der Candidate Journey. Die Buchung selbst sollte nicht zu kompliziert sein (Stichworte: Kontaktwege, Formularlänge, Motivationsschreiben, …). Viele Unternehmen sind inzwischen auch so weit, dass sie den Eingang der Bewerbung zügig bestätigen. Dass die Journey damit aber bereits beendet sein soll, wie wiederum einige Darstellungen in der Google-Treffer-Liste implizieren, dürfte alle, die bis hierher aufmerksam gelesen haben, stutzig machen.

Die Nachbewerbungsphase, die den gesamten Auswahlprozess bis hin zum Onboarding umfasst, sollte auf keinen Fall außer Acht gelassen werden! Sie entscheidet schließlich darüber, ob die bis hierher geweckten Erwartungen deiner Kandidat:innen auch erfüllt werden und sie am Ende einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Es ist zum Beispiel keine gute Idee, eine gut qualifizierte Fachkraft länger als unbedingt nötig auf Antworten, Termine oder Ergebnisse warten zu lassen. Das gilt insbesondere, wenn sie sich in mehreren Auswahlprozessen gleichzeitig befindet.

Alle Beteiligten mit auf die Reise nehmen

Egal ob die Candidate Journey entlang von 3, 4 oder 6 Phasen oder X Kontaktpunkten abgebildet wird: Wenn du dich an die Optimierung machst, nimm alle Leute in deinem Unternehmen mit, die an irgendwelchen Kontaktpunkten beteiligt sind. Du investierst Ressourcen in eine Kampagne, in Stellenanzeigen, in eine moderne Karriereseite oder Personal, um Bewerbungen zu generieren und Prozesse zu beschleunigen. Bewerbungen laufen ein, werden gesichtet, vielleicht sogar erste Gespräche geführt.

Und dann? Liegt die Bewerbung in der Fachabteilung und die zuständigen Hiring Manager:innen verstehen nicht, welches Rad du bereits gedreht hast. Sie wissen nicht, was du Kandidat:innen bereits mit auf den Weg gegeben hast und welche Erwartungen geweckt wurden. Sie haben keine Ahnung, wie viel Prozess schon in dieser einen Bewerbung steckt. „Aber wenn jetzt wieder vernünftige Bewerbungen reinkommen, kann man ja mal abwarten ob nicht noch jemand kommt, der ein paar Euro weniger im Monat verdienen will?!“ Damit dieser Gedanke gar nicht erst aufkommt, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen und wissen, was in den vorherigen Prozessschritten bereits gelaufen ist.

Wir haben lange überlegt, ob wir hier dem bunten Blumenstrauß an „idealtypischen“ Candidate Journey Prozess-Grafiken noch ein Röslein hinzufügen wollen. Wir lassen es. Diese hier finden wir gut. Wenn du noch auf der Suche nach einem ganzheitlichen Recruiting Konzept bist, das alle Schritte der Journey abdeckt, kannst du hier starten!

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